8. Juli 2012

Das Wesen von Verschwörungstheorien

Ein Audiobeitrag in den Stimmen der Kulturwissenschaften⁽¹⁾ beginnt mit dieser Einleitung:
Jack the Ripper war in Wirklichkeit nicht eine, sondern drei Personen. Denn die sechs Rippermorde lassen sich ziemlich leicht erklären, weil, alle sechs Frauen waren mit einem irisch-katholischen Mädchen befreundet, das ein uneheliches Kind mit dem Herzog von Clarence, dem Enkel von Königin Victoria, hatte. Und das Kind war zwar unehelich, hatte aber Anspruch auf den Thron, und die Freimaurer, denen es nicht gelungen war, Kind oder Mutter ausfindig zu machen, brachten deshalb alle Zeugen der Affäre um, und zwar auf solche Weise, dass es aussieht, als wäre es ein Verrückter gewesen. Die Freimaurer hatten natürlich auch Freunde bei Scotland Yard, die bei der Vertuschung halfen, und deshalb ist Europa eigentlich ein freimaurerische Verschwörung.
Freimaurer und Juden stehen bei den Verschwörungstheoretikern ganz oben, doch dann kommt auch gleich die Kath. Kirche, der Weltkommunismus, die Multis bis hin zu den Bilderbergern. Anlass genug zu fragen, warum es diese Erklärungen gibt und wem sie nützen. Komplexe Vorgänge zu begründen zu wollen führt mitunter dazu nach monokausalen Ursachen zu suchen, gedankliche Verknüpfungen herzustellen, um sich ein Weltbild zu errichten das die Komplexität der Welt erklärt. Damit ist aber noch nicht der Sprung zur Verschwörungstheorie hergestellt, sondern dies ist nur ein Vorgang der schon immer existierte, und auch zur Bildung von Religionen führte. Zu versuchen, Unerklärliches verständlich zu machen, ist so etwas wie eine anthropologische Konstante.

Claus Oberhauser bringt in einem Text die sogenannte mosaische Unterscheidung⁽²⁾ ins Spiel, eine dualistische Denk- und Glaubensstruktur die immer zwischen wahr und unwahr unterscheidet und somit einen gespaltenen Raum konstruiert, der darin gipfelt, dass die christliche Religion einen Kampf um die Seele beschreibt und in der Person des Teufels eine Verschwörung benennt. Der Teufel operiert im Geheimen und versucht die Macht zu erlangen, wenn schon nicht über die ganze Welt, so doch wenigstens über die verirrte Seele. Damit sind alle wichtigen Komponenten einer Verschwörungstheorie vorhanden: Macht, Wissen, Geheimgesellschaft und ein Narrativ darüber welches erklärt, was die wahren Beweggründe dieser Geheimgesellschaft ist. Dabei ist es unerheblich ob es solche Geheimgesellschaften wirklich gibt, oder nur unterstellt werden. Für den Anhänger der Verschwörungstheorie sind sie real und sie sind überzeugt, dass die eigene Wahrnehmung die einzige und universell gültige Möglichkeit ist.

Macht und Wissen wirken untrennbar zusammen, oder wie Michel Foucault meint: "Jede Gesellschaft hat ihre Wahrheitsordnung, ihre allgemeine Politik der Wahrheit: das heißt Diskursarten, die sie annimmt und als wahr fungieren lässt."⁽³⁾ Verschwörungstheoretiker versuchen ihre eigene Wahrheit zu etablieren, dabei geht es immer um Macht. Das Geheimnis der bestehenden Wahrheitsordnung soll offen gelegt werden, was gleichzeitig bestehende Machtstrukturen in Frage stellt, denen unterstellt wird, eigentlich auf den Interessen von Geheimgesellschaften zu basieren.

Wenn wir uns nun langsam der Frage nähern, wem Verschwörungstheorien nützen, ist es hilfreich eine Unterscheidung vorzunehmen. Oberhauser nennt dies Verschwörungstheorien der Disziplinierung und der Angst vor Disziplinierung. Etwas scheinbar Gegensätzliches also, doch nur auf den ersten Blick. Einmal nützt sie der bestehenden Wahrheitsordnung und Angriffe von außerhalb sollen abgewehrt werden, oder die bestehende Ordnung soll in Frage gestellt werden. Somit ist auch klar, dass es hier keine Unterscheidung zwischen den politischen Lagern gibt, es kommt eben gerade darauf an, wer das Sagen hat und welche Wahrheitsordnung gilt. Immer geht es jedoch um Macht und Schwarz-Weiß-Denken.

Aber um welche Macht geht es eigentlich? Nicht um eine Regierung jedenfalls, die kann man ja schwerlich als Geheimgesellschaft bezeichnen. Egal ob Königreich oder Republik, Diktatur oder Demokratie, Regierungen selbst sind nicht Gegenstand von Verschwörungstheorien. Einzelne Politiker schon, denen schnell mal irgendeine Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft unterstellt werden. Nein, hauptsächlich geht es um Personengruppen die im verborgenen eine Macht ausüben könnten.

In der Vergangenheit wurden Verschwörungsgruppen konstruiert und in den Freimaurern, Juden oder Jesuiten Personengruppen gefunden, denen etwas undurchsichtiges anhaftete. Heute sind es Politiker, Lobbyisten, Konzerne, Ökos oder Journalisten die sich verschworen haben sollen um entweder sich schamlos zu bereichern oder die Macht über die Menschen und deren Gedanken erreichen wollen. Was früher ethnischen oder religiösen Gruppen angedichtet wurde, macht man heute mit Personen nach sozialem oder beruflichen Status oder politischer Überzeugung. Das Muster ist das Gleiche, wenngleich eingeräumt werden muss, dass die Grenze ab wann man von einer Verschwörungstheorie sprechen kann, nicht sehr deutlich sind. Das sollte aber hier auch nicht genau ausgelotet werden, denn zum Verständnis der Vorgänge genügt es zu wissen, welche gedankliche Strukturen zur Bildung von Verschwörungstheorien führen.

Der Hauptgrund, und für diese Erkenntnis bin ich Claus Oberhauser sehr dankbar, ist in der mosaischen Unterscheidung zu suchen. Wer simples Schwarz-Weiß-Denken ablegt, wird auch mit Verschwörungstheorien nicht viel anfangen können.


Verweise / Erläuterungen:

(1) Der Historiker Claus Oberhauser von der Universität Innsbruck untersucht Verschwörungstheorien und Geheimgesellschaften und er erklärt in dieser Episode, was Historiker von Verschwörungstheoretiker unterscheidet. Die mosaische Unterscheidung ist die Spaltung einer polytheistischen Welt in eine „wahre“ und „unwahre“ Religionsgemeinschaft.
[SdK 36: Claus Oberhauser über Verschwörungstheorien]

(2) In: Zeitschrift für Internationale Freimaurerforschung 25 (2011)
[Claus Oberhauser, Verschwörungstheorien, Macht und Gesellschaft]

(3) Gespräch mit Michel Foucault, in: Michel Foucault, Die Analytik der Macht (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1759), hrsg. von Daniel Defert/François Ewald unter Mitarbeit von Jaques Lagrange, S. 83-107, hier: S. 105.


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