28. Juni 2015

Kadavergehorsam und Beliebigkeit als Machtprinzip in der CDU

So manchen Bundestagsabgeordneten der Regierungskoalition wird ein Stein vom Herzen gefallen sein, als klar wurde, dass nicht über ein neues Rettungspaket für Griechenland abgestimmt werden muss. Im SWR Interview der Woche vom 27.06.2015 wird Jens Spahn, Präsidiumsmitglied der CDU und kommender Staatssekretär im Finanzministerium, danach befragt, ob er schon wüsste, was er am Montag oder Dienstag zu tun habe. Schließlich gäbe es doch überhaupt keine Zeit mehr, sich eine Vereinbarung im Detail anzuschauen. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, jedenfalls in der Öffentlichkeit, dass am gleichen Tag die Verhandlungen mit Griechenland eine spektakuläre Wendung nehmen würde. Und so eiert Spahn auch ganz schön mit seiner Antwort herum, deutet an, dass vielleicht gar nichts abzustimmen sei, aber dass er im übrigen voll und ganz auf Merkel und Schäuble vertraut, „die genau wissen um unsere Position, darum, wie auch ein Großteil der Bevölkerung die Dinge sieht, die aber auch eine hohe Verantwortung für Europa und die europäische Union insgesamt haben.“

Von einem künftigen Staatssekretär im Finanzministerium hätte ich mir eine etwas konkretere Auskunft gewünscht, als die, dass die Abstimmung im Bundestag eigentlich nur eine darüber ist, ob man Merkel und Schäuble trauen kann. Um Inhalte kann es nicht gehen, die zu erfassen, zu bewerten und zu überprüfen, dafür fehlt ja die Zeit. Genauso war es ja auch schon in der Vergangenheit, und bis auf einige wenige Abgeordnete haben alle brav das abgenickt, was ihnen vorgesetzt wurde, bevor noch die Tinte auf diesen Dokumenten richtig trocken war.

Etwas hat sich allerdings geändert, nämlich, „wie ein Großteil der Bevölkerung die Dinge sieht“. Deren Blick auf dieses unwürdige Geschachere um die Griechenlandrettung wurde immer kritischer, und damit auch auf das Abstimmungsverhalten der Bundestagsabgeordneten. Die fühlen sich nunmehr unter Beobachtung stehend, nicht nur durch ihre Fraktionsvorsitzenden oder den Wortführern ihrer Parteien, sondern auch der Öffentlichkeit. Merkel und Schäuble mussten damit rechnen, dass der bisherige Kadavergehorsam, der alle diese Abstimmungen kennzeichnete, an ein Ende gekommen ist, und mehr noch, dass sich mehr und mehr Abgeordnete diesem Gehorsam entziehen werden. Vielleicht fällt auch Merkel und Schäuble nun ein Stein vom Herzen, denn wäre es zu einer Abstimmung gekommen, dann ist anzunehmen, dass es zu einer Erodierung der Zustimmung gekommen wäre. Für Merkel und Schäuble, mit ihren untrüglichen Machtinstinkten, eine brandgefährliche Situation. Diese ist nun entschärft, die beiden können nun so tun, als ob sie deutsche Interessen verteidigen würden.

Doch gerade dieser Begriff, die deutschen Interessen, ist etwas was nicht diskutiert wird. Eine offene Debatte darüber entsteht nicht, immer wird diese abgewürgt mit dem Verweis auf das gemeinsame europäische Haus und der speziellen deutschen Verantwortung dafür. Erst wenn es nicht mehr geht, andere europäische Partner sich nicht an Vereinbarungen halten, was nicht nur in Hinblick auf Griechenland der Fall ist, sondern auch in der Flüchtlingsfrage und einigen mehr, wird sich der nationalen Interessen erinnert. Nur wenn die Machtfrage im Raum steht, wenn befürchtet werden muss, dass die eigenen Leute ihren Kadavergehorsam aufkündigen, dann wird auf nationale Interessen Rücksicht genommen. Nicht aber aus Einsicht, sondern eben wegen der Machtfrage.

Genau diese kam in dem SWR-Interview mit Jens Spahn auch noch zur Sprache. Nicht allerdings in Hinblick auf Griechenland oder Europa, sondern lediglich die CDU betreffend. Hier beklagt Spahn, dass die Union „mittlerweile nur noch in acht Bundesländern mitregieren, die Grünen in neun, die SPD in fünfzehn.“ Er wünscht sich eine Öffnung hin zu den Grünen, dass es nach den kommenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Reinland-Pfalz vielleicht ein Schwarz-Gelbes-Bündnis gibt, und ein Schwarz-Grünes. „Das wäre ein schönes Signal für die Bundestagswahl in 2017.” Genau, es würde der Beliebigkeit der Bundeskanzlerin entgegenkommen, die wie ihre ganze Partei sich bei der konkreten Beschreibung um politische Ziele und Inhalte herumdrückt, um dann im letzten Moment die Karte zu ziehen, die in Hinblick auf die Macht am ehesten zu stechen scheint.

Wenn es etwas gibt, was als charakterliche Beschreibung der CDU zu ihrem nun dieser Tage gefeierten siebzigsten Geburtstag taugen würde, dann ist es dies: Der Willen zur Macht dominiert über dem ausformulieren von politischen Inhalten oder Aussagen. Beliebigkeit als Machtprinzip, egal welches Politikfeld wir uns auch anschauen, ob Familienpolitik, Bündnisse, Europa oder Flüchtlinge, nirgendwo ist ein Standpunkt erkennbar der eine grundsätzliche rote Linie beschreibt, über die die Union nicht zu gehen bereit ist.

Insofern bedauere ich es ein wenig, dass es nun nicht zu dieser Abstimmung über die Griechenlandhilfe im Bundestag kommt. Zu gerne hätte ich vernommen, wie sich die Abgeordneten ihr Abstimmungsverhalten schön reden, zu gerne hätte ich gesehen, wie dieses Machtprinzip Beliebigkeit an seine Grenzen kommt.

Man kann gewissermaßen die Erschütterung spüren, die von den von den Herzen fallenden Steinen ausgelöst wurde, so groß waren diese. Von dieser Last erleichtert, kann die CDU nun beschwingt zum Geburtstagsfest übergehen und zum Tanz bitten. Mit wem sie dann das Tanzbein schwingt, oder zu welcher Musik, das ist ihr egal. Hauptsache sie tanzt.

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